ZUM STÜCK

«Amerika» – das Stück

«Amerika» erzählt die Murianer Auswanderergeschichte des Jahres 1854 aus der Sicht des Unteragenten, dem etwas schmierigen Wirt Lonzi, der im Auftrag einer grossen Auswandereragentur die Verträge abschliesst und dafür natürlich eine Provision kassiert. Sein Interesse, so viele Menschen als möglich ins «gelobte Land» zu spedieren, ist deshalb mindestens so gross wie das der Gemeinde. Lonzi verkörpert aber keineswegs nur das Böse, sondern er ist ganz einfach ein Mensch, der zuerst für sich selber sorgt.

«Mer wend ene d Hoffnig ned näh. Wär schlächt förs Gschäft. Aber die hend doch kei Ahnig, was onderwägs alles uf sie wartet. Jänu, c’est la vie. S muess jede sälber luege. – Drom säg ech amigs: Lonzi, sägi, d Wält werd ned besser, wenn's deer schlächter goht. Stimmt’s oder hani rächt?
– «Alltagsphilosoph» Lonzi im Stück «Amerika»

Und diese Welt sieht für den jungen Murianer Josef so aus: Er liebt Anna, die Tochter eines Grossbauern und skrupellosen Gemeindeammanns. Doch Josef hat weder den Status noch die Mittel, Anna zu heiraten. So bleibt ihm nichts anderes, als auszuwandern und sein Glück in Amerika zu versuchen. Um seine Reisekosten bezahlen zu können, macht er einen Deal mit Lonzi: Dieser schiesst ihm das Geld vor, erwartet dafür aber, dass ihm Josef regelmässig positive Berichte aus Amerika schickt, die er als Werbung für sein Speditionsgeschäft brauchen kann. Es ist Trip Advisor der ersten Stunde.
So viel zur Vorgeschichte. 10 Jahre später – und hier beginnt «Amerika»: Josef, der sich mittlerweile Joe nennt, beschliesst, zurückzukehren, denn ihn plagen das Heimweh und die Sehnsucht nach seiner Geliebten. Als er in Muri ankommt, wird er wie ein Held gefeiert. Seine (massiv frisierten) Briefe haben ihm den Status des erfolgreichen, mutigen Auswanderers beschert. Ihm bleibt nichts anderes, als mitzuspielen, denn er hat sich dieses Image ja selber geschaffen. Dem Agenten Lonzi kommt seine Rückkehr gar nicht ungelegen, denn es harzt im Moment grad mit dem Verkauf von Schiffspassagen. Die Menschen in Muri sind skeptisch. Wartet in Amerika, von dem sie nicht die geringste Ahnung haben, tatsächlich das Glück? Da trifft es sich gut, schiebt die Gemeinde zwischendurch jene Kostgänger ab, die sonst aus der Armenkasse durchgefüttert werden müssen. Das gibt Umsatz für Lonzi.

«Wer wott settigs Gsindel vor de Hustür? Choscht e Huufe Gäld und esch Gift för d Moral. Muri esch chlii. Do mags ned eso viel Lumpevolch verliide. Z Amerika isch da andersch: Deet fallid die gar ned uuf. Abgseh devo schänkt’s bi mer zümftig ii, wenn d Katharina muess goh med erne Goofe.
– «Moralprediger» Lonzi im Stück «Amerika»

Die letzten Vorbereitungen für die Auswanderung der Murianerinnen und Murianer sind am Laufen, als der Pöstler ein Schreiben des Schweizer Konsuls in New York bringt. Auf der Überfahrt von Le Havre ist Anna wie Dutzende anderer Passagiere an Cholera gestorben und auf hoher See beigesetzt worden. Für Joe bricht eine Welt zusammen.
Als er Bekanntschaft mit einem jungen Mann macht, der aus genau denselben Gründen wie er seinerzeit auswandern will, beschliesst er, diesem das Leben in Muri zu ermöglichen und an seiner Stelle an Bord des Schiffes zu gehen …